Offen nach oben
Waren Sie schon einmal in Rom und haben neben den vielen Sehenswürdigkeiten auch die Gedenkstätten der ersten Christen besucht? Ich muss zugeben, mich zieht es gedanklich immer wieder in diese Weltstadt, allerdings war ich selbst noch nicht dort. Aber spätestens seit meinem Lateinunterricht in der Schule ist die Sehnsucht da, das alles auch einmal mit eigenen Augen zu sehen.
Besonders gern würde ich einmal das Pantheon in Rom besuchen. Denn es ist ein ganz besonderes Gebäude. Es wurde im zweiten Jahrhundert fertiggestellt und war vermutlich zunächst ein Tempel, der allen Göttern geweiht war. Auf der kreisrunden Grundfläche erheben sich Mauern aus Mamor und Granit, darüber wölbt sich hoch eine Kuppel, in deren Mitte eine Öffnung von neun Metern Durchmesser ist.
Im Jahr 609 wurde dieser Tempel dann in eine christliche Kirche umgewandelt, die den Namen Santa Maria ad Martyres erhielt. Aufgrund seiner Form wurde der Bau im Volksmund zu „La Rotunda“.
Licht fällt von oben in diese Rotunde, die hellen Wände fangen es auf und reflektieren es.
Dieses Licht von oben erinnert mich stark an das Ereignis 50 Tage nach Ostern, das die Jünger von Jesus erlebten. In der Apostelgeschichte in Kapitel 2 wird uns davon berichtet:
1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab.
Apostelgeschichte 2
Auf die Freunde von Jesus fällt etwas von oben herab. Nicht nur Licht, sondern Zungen in Form von Feuer. Da flammt etwas auf, setzt die Menschen in Brand und lässt sie spüren, wie Gottes Geist wirkt. Dieser Heilige Geist ist mächtig wie ein Brausen, ja wie ein wirkmächtiger Sturm, ein Rückenwind…
Diesen Geist Gottes hatte Jesus seinen Freunden vor seinem Fortgehen in Aussicht gestellt und nun ist er da!
Für uns ist dieser Geist Gottes manchmal schwer zu (er-)fassen. „Mit dem Heiligen Geist habe ich so meine Probleme“, sagte mir vor kurzem eine Frau. Das geht vielleicht nicht nur ihr so. Vater und Sohn – das verstehen wir noch, aber den Heiligen Geist?
Er lässt sich nicht so einfach beschreiben, er hat keine Lebensgeschichte, so wie Jesus und auch kein Bild in unseren Köpfen, so wie Gott der Vater/die Mutter oder Gott als Schöpfer.
Der Geist ist unbegreiflich, er weht wo er will und er lässt sich nicht festlegen. Er bleibt ein unverfügbares Geschenk von oben herab.
Vielleicht bemühen sich deshalb Christen seit jeher diesem Geist Gottes doch ein Aussehen zu geben.
Im Pantheon in Rom gibt es diesen Versuch jedes Jahr an Pfingsten. Es ist wie ein kleines Wunder, seit tausend Jahren schon.
Jedes Jahr am Pfingstfest, just in dem Moment, in dem der Hymnus „Veni creator spiritus“ (Komm, Schöpfer Geist) erklingt, geschieht es: Durch das kreisrunde Loch in der Kuppel der Kirche segeln abertausende rote Blütenblätter auf die Menschen herab.
Es ist ein inszeniertes Wunder. Feuerwehrleute machen es möglich. Aus 43 Metern Höhe werfen sie die Blätter durch das Himmelsauge. Auch, wenn man weiß, wie dieses Wunder geschieht: Weniger beeindruckend ist es darum bestimmt nicht.
Abertausende, vielleicht Millionen von Blütenblättern, samtig und duftend regnen herab. Ein schönes Bild für den Geist Gottes. Kraftvoll und zärtlich ist er, warm und lebendig, und manchmal lodernd und voller Leidenschaft.
In vielen Gestalten kommt er, immer aber ergreifend, und er macht Menschen wie dich und mich zu Gesegneten und Gesandten.
Und noch etwas zeigt diese besondere Kirche, die nach oben hin offen ist. Denn es sind ja nicht immer Blütenblätter, die von oben herabkommen. Oft genug sind es Regentropfen oder auch Schnee. Ja, sogar Hagel hämmert auf den steinernen Boden der Rotunde.
Das zeigt doch, wer sich öffnet für den Geist Gottes, der riskiert auch, dass andere eintreten werden als nur immer die gern gesehenen Gäste. Auch das Unliebsame und das Unerwünschte im Leben kann hereinkommen.
Und vielleicht können wir diese Kuppel als Vorbild nehmen. Offen zu sein für die Menschen um uns herum, trotz Abstandsregelungen und verbunden zu bleiben im Gebet, trotz ausfallender Veranstaltungen und dankbar zu sein, in dieser Zeit, selbst unter strengen hygienischen Maßnahmen, Gottesdienst auf unserem Dorf feiern zu dürfen! Wir öffnen unsere Kuppel sinnbildlich, unsere Türen und unsere Herzen, machen sie durchlässig für Gesänge und Gebete. Eines könnte so klingen:
Ja, komm, Heiliger Geist. Lass uns nicht ganz dicht sein. Lass uns nach oben offen bleiben. Für die Zeichen der Liebe, die aus dem Himmel zur Erde zu segeln scheinen. Blütenblätter, duftend und zart, Sonnenstrahlen, warm und hell, Worte, angeflogen im richtigen Augenblick.
Lass uns empfänglich bleiben für die große Kuppel über unseren Köpfen: für den Himmel, den Jesus Christus uns geöffnet hat, der sich über uns wölbt, der ein Auge auf uns hat und uns segnet und sendet.
Herzlich grüße ich Sie, auch im Namen des Kirchenvorstandes von Friedrichsgrün,
Ihre Pfarrerin Rowena Jugl